13. april 2017
Den Østrigske publicservice TV station ORF havde d. 9. april i deres program ’pressetimen’ kardinal Christoph Schönborn som gæst:
Pressestunde mit Kardinal Christoph Schönborn
So, 09.04.2017 11.05 Uhr 52:04 Min
Zu Gast im Studio ist Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien. Die Fragen stellen Ulla Kramar-Schmid (ORF) und Hubert Patterer ("Kleine Zeitung").
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Transkripte für die Sendung Pressestunde mit Kardinal Christoph Schönborn
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Grüß Gott und herzlich Willkommen bei der ORF-Pressestunde.
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Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Der Palmsonntag läutet die letzte Woche vor Ostern ein und damit auch die Osterferien. Eine ruhige Woche also für Familien, eine ruhige Woche auch in der Regierung. Die Gelegenheit also sich mit einem Mann auszutauschen, der nicht ins politische Alltagsgeschäft eingebunden ist, aber doch klare Haltungen zu politischen Themen hat. Ich freue mich sehr heute Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien, begrüßen zu dürfen. Grüß Gott.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Grüß Gott.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Die Fragen stellt mit mir Hubert Patterer von der Kleinen Zeitung. Auch Ihnen Grüß Gott.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Grüß Gott.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Herr Kardinal, wir leben in bewegten Zeiten. Der Krieg in Syrien, die Flüchtlingsbewegung, Spannungen zwischen Ost und West, Terroranschläge. Angst ist ein allumfassendes Gefühl, das die Menschen spüren. Müssen wir uns fürchten?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Es gibt viele berechtigte Gründe zur Angst, aber es gibt glaube ich mehr Gründe zur Hoffnung. Also natürlich, Angst hat ja etwas zu tun mit, sehr oft mit der Realität. Das heißt, es gibt Angst machende Wirklichkeiten, und gar keine Angst zu kennen, ist nicht unbedingt ein Zeichen von psychischer Gesundheit.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Was macht Ihnen Angst?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich würde eher sagen: Was macht mir Sorge? Sorge macht mir natürlich, wie es mit der gesellschaftlichen Entwicklung weitergeht, der sozialen Entwicklung, wie es mit der globalen Entwicklung weitergeht, mit der Umweltkrise, mit den Zukunftsaussichten für die nächste Generation, nächsten Generationen. Da ist viel Grund zur Sorge - vielleicht nicht unbedingt zu Angst, aber doch zu echter Sorge. Aber ich glaube, es gibt ebenso viele Gründe, wenn nicht mehr Gründe, zur Zuversicht und zur Hoffnung.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Immer mehr Menschen haben Angst, das zeigen weltweite Studien, vor der Migration. Das polarisiert die Gesellschaften, das polarisiert Familien, mitunter auch Gesellschaften. Jetzt ist das ja offenbar in der katholischen Kirche auch nicht so einfach. Die Caritas arbeitet Tag und Nacht, um Flüchtlingen zu helfen. Auf der anderen Seite gibt es beispielsweise den scheidenden Erzbischof in Salzburg, den Herrn Laun, der im Zuge der Bundespräsidentschaftswahl gesagt hat, man könne nur Hofer wählen - jetzt also eine Partei, die nicht unbedingt für offene Grenzen steht. Ist das eine einzelne Meinung in der katholischen Kirche oder spaltet das Thema Migration und Zuwanderung auch die katholische Kirche?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Es spaltet, wie Sie vorhin gesagt haben, auch Familien, es spaltet auch Gemeinden - oder sagen wir, die Bandbreite der Sichtweisen ist wirklich sehr groß. Trotzdem würde ich sagen, einfach aus der Erfahrung von unseren 600 Pfarren in der Erzdiözese Wien: Die Menschen, die ganz konkret mit Flüchtlingen zu tun haben, haben fast immer weniger Probleme mit den Flüchtlingen als die, die nie mit Flüchtlingen in Berührung kommen. Das ist ein interessantes Phänomen. Ich glaube, das hat einfach damit zu tun, dass abstrakte Größen uns Angst machen - "die Flüchtlinge". Wenn man aber konkreten Menschen begegnet und ihren Schicksalen und mit ihnen redet und erfährt, warum sie sich auf den Weg gemacht haben, dann sieht das meistens schon sehr anders aus.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Haben Sie Erfahrungen, persönliche, mit Flüchtlingen, haben sie Flüchtlinge aufgenommen?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ja, ich habe - ich habe immer wieder Flüchtlinge auch im Bischofshaus aufgenommen. Wir haben zurzeit einen Flüchtling aus Ruanda, eine 85-Jährige, die aus dem Genozid, dem damals schrecklichen Völkermord in Ruanda entkommen ist und irgendwie in Österreich gestrandet ist. Und ich kenne sie seit einigen Jahren und wir haben sie jetzt einfach bei uns im Haus aufgenommen, weil sie nicht mehr alleine leben kann. Eine wunderbare Frau und es bereichert unser Leben im Bischofshaus. Unsere liebe Frau Adria dabei zu haben - die ist gut integriert.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Herr Kardinal, Sie zählen ja in dieser Flüchtlingsfrage zum - ja, wie soll man es nennen - zum liberalen Willkommensethikflügel und Sie sagen zum Beispiel, Vielfalt schadet nicht, sie tut dem Land gut, auch der eigenen, auch der religiösen Vielfalt - auch die religiöse Vielfalt. Wissen Sie sich da, wenn Sie so etwas sagen, wirklich eins mit den Gläubigen? Ich frage auch deshalb, weil ich von Priestern und Pfarrern gehört habe, auch in der Steiermark, die berichtet haben, dass sie sich nicht mehr trauen, das Thema offen auf der Kanzel anzusprechen, weil sie Feindseligkeiten, offenen Feindseligkeiten ausgesetzt seien. Wissen Sie von solchen Konflikten?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ja, das weiß ich. Ich weiß es aus der vielen Post, die ich bekomme aus ganz Österreich und darüber hinaus von Menschen, die sich ganz große Sorgen machen, die zum Teil recht aggressiv reagieren oder schreiben. Das ist mir bekannt und naiv möchte ich nicht sein in dieser Frage. Es ist nicht einfach Schwarz oder Weiß. Und sicher haben wir nach dem 2015 mit der großen Zahl an angekommenen Flüchtlingen gelernt - und das habe ich auch immer wieder gesagt - dass es hier genaueres Hinschauen braucht, dass wir nicht einfach alle Flüchtlinge aufnehmen können. Deutschland, Österreich und Schweden haben eindeutig hier ein Übersoll erfüllt gegenüber anderen europäischen Ländern. Aber nur ein einfacher Hinweis: Im Jahr 2002 hatten wir in Österreich 40 000 Asylwerber, im Jahr 2016 hatten wir 36 000. Im Jahr 2002 war das kein dramatisches Thema. Ich glaube, also ich würde sehr dazu raten, das Thema nicht alleinzustellen. Es ist nicht das einzige große Thema. Sicher, die Frage der Integration ist ein großes Thema. Es gibt ja einen neuen Gesetzesentwurf zur Integration, der im Moment im Parlament ist, ich glaube, mit vielen guten und vernünftigen Ansätzen. Aber das Flüchtlingsthema ist sicher nicht das einzige Thema, das uns Sorge machen muss. Und wir erleben im Einzelnen sehr viel Kreatives, wenn ich an unsere Pfarren denke, wie Menschen, die nach Österreich geflüchtet sind, integriert sind in Gemeinden. Wenn sie ein Netzwerk finden, wo sie dazukommen können, ist die Integration natürlich viel besser als wenn man sie in ein großes Flüchtlingsheim steckt, wo sie unter sich und isoliert sind.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Aber die Menschen machen sich halt Sorgen. Und es gab vor allem gleich zu Beginn der Flüchtlingskrise 2015 Probleme, wo bringt man die Menschen unter. Und da war es eigentlich die Kirche die damals Kritik geerntet hat, weil es, weil hier zu wenig geleistet wurde, weil man meinte man könnte die Klöster und die Diözesen mehr leisten. Und hat es hat dann eigentlich sehr, sehr lang gedauert, bis Sie sozusagen, von oben herab, dann gesagt haben, so und wir nehmen jetzt, ich glaube 1100 Flüchtlinge auf. Warum hat das auch in der Kirche so lange gedauert?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Das, ich hatte ja mehrmals Gespräche mit der damaligen Innenministerin Mikl-Leitner, die das sehr deutlich und ziemlich lautstark gesagt hat, öffnet die Klöster. Das sagt sich so leicht, öffnet die Klöster. Wir haben sehr viel auch kirchliche Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Da sind Klöster nicht unbedingt das ideale Flüchtlingsquartier. Ja zum Beispiel dann, wie die große Flut, die große Welle von Flüchtlingen war, auch am Stephansplatz bei uns 50, zeitweise 50, 60 Flüchtlinge im Notquartier aufgenommen. Aber sehr bald hat sich gezeigt, die entscheidende Frage ist nicht schnell ein Notquartier aufzumachen. Inzwischen sind die von der Caritas zur Verfügung gestellten Auffangräumlichkeiten unterbesetzt. Wir müssen wieder welche schließen, weil die Zahl der Flüchtlinge deutlich zurück gegangen ist.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Herr Kardinal, können Sie uns sagen wie viele Gläubige die katholische Kirche verlassen haben aufgrund der kirchen-, aufgrund der flüchtlingsfreundlichen Politik der Kirche. Haben Sie da einen Überblick?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Nein, das kann man nicht...
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Was würden Sie schätzen?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Wir senden zwar jedem der, wo wir den Austritt erfahren, senden wir zumindest die Möglichkeit zu einem Fragebogen über die Gründe des Austritts, aber diese Gelegenheit, diese Möglichkeit wird von höchstens fünf Prozent wahr genommen, sodass wir nicht einen genauen Überblick haben wie weit die Flüchtlingsfrage mit den Kirchenaustritten zu tun hat.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Die österreichische Regierung liefert sich gerade einen manchmal bizarren Wettstreit, auch ein Schaulaufen, wer von den beiden Regierungsparteien härter Kante zeigt in der Flüchtlingsfrage. Man hat gerade in den letzten Tagen wegen der bereits ausverhandelten Aufnahme von 1900 Flüchtlingen, darunter 50 unbetreuten Minderjährigen einen Streit mit Brüssel riskiert. Das scheint mitunter von der Motivlage etwas kleinlich und durchsichtig. Wie empfinden Sie diesen Kurs der Regierung?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich kommentiere nicht gerne unsere Regierungsparteien. Ich stehe nicht gern in der Verantwortung die sie als Regierungsparteien haben. Ich würde eher an ein paar Grundsätze erinnern, auch, sicher auch die Regierung. Wir hatten ein hervorragendes Resettlement-Programm mit dem Innenministerium. Das heißt die Innenministerin Mikl-Leitner hat, Sie erinnern sich, zuerst 1500, dann wurde es aufgestockt auf 2500 Flüchtlinge aus Syrien, besonders bedrohte, sicher auch bevorzugt aus den religiösen Minderheiten, besonders bedrohte und gefährdete Menschen. Die sind ganz friedlich nach Österreich gekommen über, mit, zusammen mit UNHCR und den örtlichen, zum Teil kirchlichen oder anderen Autoritäten. Man hat die ausgesucht, die sind ohne traumatische Flüchtlingswege nach Österreich gekommen, sind inzwischen, die meisten soweit ich erfahre, bestens integriert, konnten hier gleich beginnen mit dem Flüchtlingsstatus, konnten arbeiten, konnten hier ein Leben beginnen. Das wäre natürlich die Lösung. Ich weiß, diese Resettlement-Programme, die inzwischen in anderen Ländern auch versucht werden, Italien, Frankreich, die wären der ideale Weg wie man das Flüchtlingsproblem humanisieren könnte, damit nicht Menschen mit dem Boot ihr Leben riskieren oder über schreckliche Routen und Schlepper nach Europa zu kommen suchen. Aber dazu fehlt ein entscheidendes Element und das halte ich für das dramatische, dass es uns in Europa nicht gelingt eine gemeinsame, wirklich eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu haben.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Mit der österreichischen Regierung sind Sie in dieser Frage auch zufrieden, jetzt nach dieser politischen Schubumkehr?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich habe das damals gesagt dass ich die Schließung der Balkan-Route, steht mir nicht zu das zu beurteilen. Aber ich kann es verstehen dass, nachdem es keine europäische Einigung gegeben hat, dass man diesen Weg gesucht hat und einseitig diese Route geschlossen hat. Das ist aber nicht das Ende des Themas. Was machen, was macht Griechenland mit den vielen Menschen die dort angekommen sind, was macht Italien mit den vielen Menschen die dort ankommen? Es geht nur wenn Europa eine gemeinsame Lösung findet und das stößt im Moment auf den Widerstand eines wachsenden Nationalismus, eines wachsenden Populismus, wo jedes Land versucht noch schrecklicher zu sein in dieser Frage, statt dass man gemeinsam zum Beispiel humanitäre Korridore macht.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Aber jetzt ist ja gerade beispielsweise das zutiefst katholische Polen lehnt es ebenfalls ab, Flüchtlinge aufzunehmen. Jetzt wollen Sie zwar die Politik der Regierung nicht kommentieren, aber können Sie vielleicht sagen, was Sie meinen, warum sich die katholische Kirche in Polen nicht stärker engagiert?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Die katholische Kirche in Polen, das muss differenzieren. Ich kenne polnische Stimmen, polnische Kirchenleute, die sehr wohl hier eine differenziertere Sicht haben, als etwa die Regierung, aber die sind im Moment in der Minderzahl. Das stimmt. Ja. Das ist ähnlich in Tschechien, das ist in der Slowakei so, in Ungarn. Ich, ich habe viel diskutiert über diese Fragen auch mit Bischöfen aus unseren Nachbarländern, natürlich muss man die Geschichte dieser Länder auch, auch mitbedenken. Die kommen aus 40, 50 Jahren Diktatur, kommunistischer, kommunistischer Herrschaft, sind in einer gesellschaftlich anderen Situation als wir, trotzdem, trotzdem bin ich überzeugt, es geht nur wenn auch unsere osteuropäischen Nachbarn und wenn wir selber wirklich einen gemeinsamen europäischen Weg suchen und wollen. Und so lange in, in unseren nationalen Regierungen es lieber gemacht wird, auf Brüssel zu schimpfen, um von den eigenen Problemen abzulenken, wird man keine gemeinsame Linie finden. Und das halte ich für schwierig.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Nehmen Sie das auch bei der österreichischen Regierung wahr dieses Muster?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ja. Ja, es ist, es ist bedauerlich. Wir sind mit einem großen Enthusiasmus in das gemeinsame europäische Projekt gegangen, wir spüren jetzt die Mühen der Ebene. Es ist mühsamer, schwieriger geworden, weil die Lage insgesamt schwieriger geworden ist, aber ich gebe einfach zu bedenken, auch an, an die politisch Verantwortlichen, was stellen sie sich als Alternative zu, zur europäischen Integration vor. Sollen wir angesichts eines riesigen Amerika, eines riesigen Russland, eines riesigen China und Indien als, sollen wir wieder unsere Kleinstaatlerei machen und glauben wir wirklich, ein Europa, das weltweit an Bedeutung verliert, dass es, dass es dann noch seine, seine Aufgaben erfüllen kann, die wir hätten? Nämlich zum Beispiel Afrika gegenüber. In Deutschland wurde jetzt, jetzt gesagt, Afrika braucht einen Marshallplan. Denn wie will man die potenziellen Millionen an Flüchtlingen aus Afrika aufhalten, wenn man nicht hilft, dass in Afrika, mit einem echten Marshallplan, dass die Menschen nicht aus Afrika flüchten.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Aber das wird natürlich nicht so schnell gehen.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Es wird nicht so schnell gehen. Und wenn man natürlich nur auf die nächste Wahl schaut, dann wird man nicht langfristige Strategien machen können. Aber ich erinnere die Amerikaner haben uns nach dem Krieg mit dem Marshallplan erlaubt, Europa wieder aufzubauen. Das war lang-, Langsicht, weitsichtig, langfristig gedacht. Und ich glaube, solches brauchen wir auch heute.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Herr Kardinal, Sie haben nach den Lösungen gefragt. Der Außenminister Österreichs, Sebastian Kurz, sagt man solle die geretteten Flüchtlinge wieder nicht nach Italien bringen, sondern zurück an die nordafrikanische Küste und dort Auffanglager errichten, wo man die Asylberechtigung abklärt. Erscheint Ihnen das ein, ein gangbarer Weg?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Es ist, es ist sicher ein, ein möglicher Weg, ein wünschenswerter Weg, dass die Klärung der Flüchtlingsfrage dort, man versucht sie zu lösen, dort wo die Flüchtlingsströme entstehen. Aber natürlich, wenn Hungersnöte, wenn Bürgerkriege in die Flucht treiben, dann wird es schwer sein, in, in einer halbwegs geordneten und friedlichen Weise vor Ort sozusagen ein Resettlement-Programm zu machen. Möglich wäre es. Ich denke, ich denke an die, die syrischen Flüchtlinge in, in Jordanien. Jordanien ist ein ganz vorbildliches Land, wie, wie versucht wird, in diesem relativen armen Land, so viele Flüchtlinge aufzunehmen und, und die Möglichkeit Resettlement-Programme, also friedliche, friedliche Bevölkerungsüberführungen zu, zu organisieren damit die Menschen nicht durch Schlepper nach Europa zu kommen versuchen. Das ist sicher, sicher richtig, aber es ist nicht einfach.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Ja Herr Kardinal, die Migration verändert ja auch die religiöse Landschaft des Landes und zwar, und zwar massiv. Der Islam wächst. Er ist eine vitale Religion, während, während die christlichen Kirchen schrumpfen. Halten Sie die Angst vor einer Islamisierung für, für überzogen, unbegründet, abwegig wie die deutschen Bischöfe es bezeichnet haben?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Also das Christentum schrumpft weltweit nicht, es wächst. In Afrika wächst es sogar schneller als der Islam, als die islamische Bevölkerung. In Europa stimmt es - in den letzten fünf Jahren sind die Christen in Europa - ich weiß nicht - wie viele Millionen weniger, fünf Millionen weniger glaube ich geworden. Und sicher die Zahl der Muslime wächst. Es ist auch eine demografische Frage.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Das ist zweifelsohne eine demografische Frage, aber die, eine, eine, eine Prognose geht davon aus, dass im Jahr 2035 die Zahl der Muslime, die der Christen übertroffen hat. Das heißt, es verschiebt sich hier doch schon sehr, sehr deutlich etwas. Die Frage ist - und der Trend geht natürlich an Österreich auch nicht un-, also ohne Spuren vorbei -, ist der flächendeckende Katholizismus in absehbarer Zeit am Ende?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Es ist erstaunlich, da hab ich die Zahl gelesen, ich, ich hoffe, dass Statistiken stimmen. Ich kann das nicht überprüfen.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Sie müssen hoffen, dass sie nicht stimmen.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
80 Prozent der österreichischen Bevölkerung wünschen sich, dass Österreich ein christliches Land bleibt. Das ist eine sehr hoffnungsvolle Zahl. Die Frage ist natürlich: Und was tun wir dazu? Was, was tun wir, über, über - ich habe das neulich gesagt in einer Predigt, die viel zitiert worden ist - sogar in arabischen Ländern -, dass der Islam in Europa, das ist, dass es Stimmen im Islam gibt, die Europa erobern wollen. Das habe ich gesagt. Aber ich habe gesagt, man kann nicht den Muslimen den Vorwurf machen, machen, dass sie ihre Religion verbreiten wollen. Das habe wir auch gemacht und, und sehr erfolgreich weltweit - nicht immer mit dem, mit dem gebührenden Respekt vor dem Gewissen des Einzelnen. Aber natürlich hat der Islam das Recht seine Religion zu verbreiten. Das ist, das liegt in der Natur der Sache, dass man seine Überzeugungen verbreitet. Es gibt aber gewisse Bedingungen, über die wir natürlich auch wachen müssen. Respekt vor dem Gewissen. Respekt vor der Freiheit, Religionsfreiheit. Das muss sicher im Moment in manchen Ländern der Welt - vor allem islamischen, mehrheitlich islamischen Ländern -, muss das in Erinnerung gerufen werden, dass Religionsfreiheit ein fundamentales Menschenrecht ist. Aber ansonsten stellt sich die Frage an uns Christen, was, was machen wir mit unserem christlichen Erbe?
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Aber das ist doch ein, ein irrer Widerspruch eigentlich. 80 Prozent der Österreicher sagen, sie wollen, dass Österreich katholisch-christlich bleibt. Jetzt haben sich zwar die Austrittszahlen bei der katholischen Kirche deutlich eingebremst - also Jahresvergleich 2015/2016 ist sie fast gleich geblieben. Aber, ja, es ist auch gestiegen die Zahl der kirchlichen Trauungen und der kirchlichen Begräbnisse. Aber die Zahl der Neubeitritte, die Zahl der regelmäßigen Kirchenbesucher, die ist weniger geworden. Was stimmt denn hier nicht? Ist sozusagen die Kirche nur noch ein Dienstleister für Brauchtum und Tradition, oder tatsächlich noch ein Ort des Glaubens?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Das ist, das ist die Frage, die ich oft in meinen Antwortbriefen, wenn ich dazu komme, an Menschen schreibe, die, die sagen, der Islam wächst und was tut die Kirche dagegen. Da sage ich: Was tun Sie dagegen? Oder was tun Sie dafür, was tun Sie dafür, dass unsere christlichen Werte so attraktiv sind, dass Menschen sagen, diese Werte gefallen mir, ich möchte eigentlich zu dieser Wertegemeinschaft dazu gehören. Wenn wir beklagt, dass das Christentum in, in Österreich, in Europa abnimmt und gleichzeitig uns aber auch wünsche, um Gottes Willen, es soll, es soll uns das Christentum erhalten bleiben - das ist der Widerspruch. Und ich stelle aber fest, das ist sehr interessant, in der jüngeren Generation nimmt - glaube ich - die Zahl derer zu, die sich bewusst der christlichen Werte besinnen.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Da haben wir eine gegenteilige Studie Herr Kardinal und die erst vor zwei Tagen veröffentlicht worden ist. Es ist eine europaweite Studie - Generation-What - der zufolge 85 Prozent der jungen Erwachsenen in Europa sich, sich sagen, dass sie ohne Glauben an Gott glücklich sind und nur drei Prozent vertrauen den kirchlichen Institutionen zur Gänze. Das heißt, Kirche und Religion spielt im Leben der jungen Menschen entgegen Ihren Annahmen eigentlich kaum noch eine Rolle. Wie gehen Sie, wie gehen Sie um damit?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich kann das nicht wesentlich ändern.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Das heißt, die sind ohne Ostern glücklich diese Leute.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Es gab vor vielen Jahren eine faszinierende Studie in Frankreich von einem Soziologen, den ich persönlich auch kannte, "Les prières secrètes des Français aujourd'hui" - Die geheimen Gebete der Franzosen von heute. Und der hat folgendes gemacht: Der hat 140 000 Gebetsanliegen in den großen Wallfahrtsorten von Frankreich analysiert, soziologisch analysiert. Und ist drauf gekommen, dass die Kirchenbindung ganz und gar nicht deckungsgleich ist mit den persönlichen religiösen Bedürfnissen oder religiösen Suchen, Sehnen. Und wenn ich im Stephansdom die hunderten, tausenden Kerzen ansehe, die jeden Tag da bei dem Marien-Bild brennen, das sind sicher nicht alles Kerzel-Schlucker, die da hingehen - ja, wie man früher in Wien gesagt hat. Das sind nicht fromme Kirchgänger. Das sind Menschen, die dort hin gehen und auf diese Weise zum Ausdruck bringen, dass sie Gott etwas anvertrauen, ja. Ich bin ganz und gar nicht der Meinung, dass, dass religiöse, der religiöse Grundwasserspiegel in unserem Land völlig abgesunken ist, wie auch der humane Grundwasserspiegel nicht so dramatisch abgesunken ist, wie manche meinen. Ich glaube, es gibt viel Großherzigkeit in diesem Land, es gibt viel Hilfsbereitschaft. Die drückt sich nicht immer in Kirchengehen aus, aber ich würde sagen, die Grundwerte sind doch bei vielen das was, was ich durchaus sagen würden, was im Evangelium steht. Und Jesus sagt, ich war hungrig und du hast mir zu Essen gegeben. Ich war im Gefängnis und du hast mich besucht. Ich war krank und du hast mir geholfen. Das, diese Haltung stelle ich bei sehr vielen Menschen in unserem Land fest. Da würde ich sagen, solange diese Haltung da ist, sind die christlichen Grundwerte in unserem Land nicht so schlecht da.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Aber am Ende kann natürlich stehen wie Karl Schwarzenberg gesagt hat, ich fürchte mich nicht vor dem Islam, ich fürchte mich vor leeren Kirchen.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich habe es ein bisschen anders gesagt: Ich fürchte mich nicht vor dem Islam, ich fürchte mich oder ich mache mir Sorgen wegen dem schwächelnden Christentum. Und da gehören natürlich auch die leeren Kirchen und nicht mehr so gut besuchten Kirchen dazu. Wir haben in Wien ein interessantes Phänomen. Der Kirchenbesuch in Wien steigt. Aber nicht nur die Wiener Stammbevölkerung, da nimmt er ab, aber durch die Migranten. Die meisten sind nicht als Flüchtlinge gekommen, viele auch als Flüchtlinge, aber als Arbeitsmigranten nach Österreich gekommen - Philippines, Kroaten, Polen, Inder. Wir haben an die 30 anders sprachige Gemeinden in Wien. Und wenn Sie einmal schauen, gehen Sie einmal in die albanische Gemeinde am Sonntag im 15. Bezirk, da finden wir eine rappelvolle Kirche und eine unglaublich lebendige Gemeinde - und das ist eine katholische Gemeinde. Also der, der belebende Faktor der Migration ist für die katholische Kirche ein durchaus spannender.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Sie haben dennoch von den Bedingungen religiösen Zusammenlebens gesprochen zwischen den Religionen und Konfessionen. Jetzt war unlängst der renommierte deutsche Philosoph Rüdiger Safranski in Wien und hat in einem Vortrag gemeint, dass die islamische Kultur in Europa nur schwer oder gar nicht integrierbar sei und dass deshalb die Aufnahme aus diesem Kulturkreis nur, wie er es genannt hat, in Portionen erfolgen dürfe. Alles andere sei kulturell selbstschädigend. Würden Sie ihm zustimmen?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Das ist, das ist sehr theoretisch formuliert. Wir haben die Türken nach Österreich geholt, nicht unter dem Aspekt dass hier Muslime kommen, sondern dass hier Arbeitskräfte kommen in den Sechziger Jahren. Dass jetzt in der zweiten und dritten Generation junge türkisch, von, mit türkischer Herkunft, aber längst Österreicherinnen und Österreicher, dass die ihre Religion neu entdecken, dass hier ein religiöses, ein religiöses Aufwachen im Islam stattfindet, bis hin natürlich auch zu Extremformen, aber im allgemeinen einfach ein islamisches religiöses Bewusstsein, das vor 40, 50 Jahren bei den Eltern und Großeltern der Immigranten in der Weise nicht da war, das ist ein interessantes Phänomen. Wir haben unsere Katholische Jugend, hat mit der Muslimischen Jugend sehr gute Kontakte und ich glaube nach wie vor, ich weiß ich werde dafür kritisiert, ich glaube nach wie vor der Weg des Dialogs ist der Weg auch im konkreten Zusammenleben.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Aber leben, leben sozusagen die Glaubensgemeinschaften das Zusammenleben so öffentlich dass man sagt, daran kann man sich orientieren? Das sieht man doch viel zu selten.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Wenn ich durch Österreich reise, habe ich nicht den Eindruck dass ich durch ein islamisches Land reise.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Das habe ich damit auch nicht gemeint.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich sehe in jedem Dorf einen Kirchturm, ich sehe wunderbar renovierte Kirchen. Gestern durfte ich am Land eine strahlend renovierte Dorfkirche wieder segnen, die Renovierung war fertig. Es ist unglaublich wie die Menschen, viele von denen die da mitgeholfen haben, mitgearbeitet haben, gespendet haben, gehen nicht jeden Sonntag in die Kirche. Aber es ist ihre Kirche. Und da würde ich nicht unterschätzen wie viel an christlicher Kultur, christlicher Tradition, auch christlichen Werten in unserer Bevölkerung da ist. Auch wenn das jetzt nicht sich explizit in kirchlichen Formen ausdrückt. Ich glaube der christliche Grundwasserspiegel in unserem Land ist nicht so tief wie manche annehmen und er kann wieder steigen.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Also alles... Sie sind jetzt nicht beunruhigt, wenn ich das richtig verstehe?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich bin, ich bin von meiner Religion her ein Mensch der Hoffnung, das ist klar. Weil die Mitte meiner Religion, also unsere Religion, wenn ich so sagen darf, ist das Osterfest, das heißt ich glaube daran dass es eine Versöhnung gibt. Ich glaube an die Möglichkeit von Versöhnung, das ist der Glaube an das Kreuz, das Kreuz als Zeichen der Versöhnung und ich glaube dass es einen Sieg über die negativen Kräfte gibt, inklusive den Tod. Und das ist Ostern.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Herr Kardinal, eine Position, die viel Verstörung ausgelöst hat war, dass Sie gesagt haben, dass sie gegen ein Burka-Verbot sind. Ist die Verhüllung eines Menschen mit einem aufgeklärten ja auch christlichen Menschenbild vereinbar?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Wir haben in der Bischofskonferenz dazu eine Erklärung gegeben und haben gesagt, Vollverhüllung ist sicher nicht wünschenswert. Wir glauben nur nicht, dass es sinnvoll ist, dass durch ein Generalgesetz zu regeln. Ich habe mir den Gesetzesentwurf angeschaut, der jetzt im Parlament ist, über das Integrationsgesetz. Und da sind - ich weiß nicht, ob es ein Ernstnehmen unserer Bedenken war - auf jeden Fall über die Vollverhüllung, wie nennt man das, Vollverschleierung.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Vollverschleierung.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ist sehr viel differenzierter als der erste Regierungsentwurf. Ich kann zu dem Gesetzesentwurf so wie er jetzt im Parlament liegt, kann ich ganz zustimmen. Da ist nämlich deutlich gesagt, aus Sicherheitsgründen, völlig verständlich und berechtigt, in öffentlichen, im öffentlichen Raum - auf der Straße, die Touristinnen, die so kommen -, aber dass das dort nicht, nicht erlaubt ist. Das halte ich für richtig in dieser Form, wie es jetzt im Parlament ist, bin ich-
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Können Sie auch mit dem - Pardon -, können Sie auch mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs leben, wonach ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz zulässig ist, solange alle religiösen Relikte am Arbeitsplatz nicht aufscheinen? Können Sie damit auch leben?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Das, dass ein Arbeitgeber aus Sicherheitsgründen oder aus anderen Gründen gewisse Bekleidungsvorschriften macht, das halte ich für völlig legitim. So wie, ein Polizist wird nicht mit so einem Kreuz herumgehen können und auch ein Feuerwehrmann wird sicher nicht im Einsatz mit einem Bußkreuz gehen. Also ich, ich glaube, das ist kein Problem.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Das würde aber konsequenterweise in weiterer Folge, wenn man das weiterdenkt, auch heißen, dass wenn ich jetzt ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz erlasse - beispielsweise im öffentlichen Dienst, auch in Schulen, in Kindergärten und in Gerichtssälen ohnehin - kein Kreuz hängen dürfte. Das kann ja nicht in Ihrem Interesse sein.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Dass religiöse Zeichen im öffentlichen Raum zu entfernen hieße alle unsere Kirchtürme abzuschneiden. Das ist, das ist absurd. Man kann nicht ein religionsfreies Land sich wünschen, einen religionsfreien öffentlichen Raum. Dann sind wir bei albanischen Verhältnissen, wie sie unter Hoxha in der kommunistischen Zeit waren, wo das unter Todesstrafe verboten war irgendein religiöses Zeichen zu haben. Das ist, das ist unsinnig. Das Kreuz im öffentlichen Raum ist nicht nur ein, ein Zeichen der Kultur, der nach wie vor mehrheitlichen Kultur und Religion in diesem Land - sind die Christen alle zusammen sind an die 80 Prozent der Bevölkerung. Aber das Kreuz hat für mich noch eine ganz andere Bedeutung, nämlich es ist ja ein Symbol für etwas. Es ist ein Symbol für Gerechtigkeit, für den Schutz der Schwächeren.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Jetzt sagt aber genau die Richtervereinigung, dass das Kreuz im Gerichtssaal eigentlich unangebracht sei und eigentlich nicht, nicht mehr erforderlich sei, es solle, es solle raus kommen. Was antworten Sie?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Wenn die, wenn die Richter auf eine, auf eine sichere Weise Zeichen haben, die sie daran erinnern, dass sie gerecht zu urteilen haben und nicht parteiisch zu urteilen haben, ich setze voraus, dass alle unsere Richter das wollen und tun, aber das Kreuz erinnert daran, dass es so etwas wie eine, eine heilige Pflicht der Gerechtigkeit gibt. Und-
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Es soll dort bleiben?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich, ich frage mich, warum, warum soll ein solches Zeichen - das ja, das ja eine inhaltliche Botschaft hat, nämlich dass alle Menschen gleich sind, dass alle vor Gott gleich sind und dass es eine, ein gerechtes Gericht gibt und dass wir darüber beurteilt werden, ob wir gerecht sind. Ich glaube schon, dass das kein Schaden ist, wenn in der Öffentlichkeit auch wir an diese - ich würde einmal sagen - an diese fundamentalen Werte erinnert werden.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Sie haben jetzt gesagt, mit dem Gesetzesentwurf zur Vollverschleierung können Sie leben. Mit einem anderen Gesetzesentwurf kann die Bischofskonferenz offenbar nicht leben. Die Katholische Kirche hat ja die unabhängige Opferschutzkommission unter Waltraud Klasnic ins Leben gerufen, die Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche aufarbeiten sollte. Man hat im Zuge der Entschädigung bereits 22 Millionen gezahlt. Jetzt hat die Regierung das so genannte Opferrente-Gesetz verabschiedet, das Missbrauchsopfern im staatlichen Bereich wie auch in der Kirche 300 Euro pro Monat an Rente zugestehen soll. Man hat Sie offenbar nicht gefragt im Vorfeld der Gesetzesentstehung, was ist da passiert? Hat man das schlicht vergessen oder nicht für notwendig erachtet?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich erlaube mir zu sagen, das war eine Schnellaktion, ein Gesetz das einfach noch viel gründlicher Überlegung bedarf, nämlich für die Durchführbarkeit. Wir haben eine staatliche Pensionsversicherung. Wie soll die das handhaben? Das muss ja irgendwo einen gesetzlichen Rahmen finden. Alles das was bisher von der Opferschutz-Anwaltschaft, also der so genannten Klasnic-Kommission für den kirchlichen Bereich gemacht worden ist. Was in den Bundesländern von ähnlichen Kommissionen gemacht wurden, waren ja alles extra-judiciale, außergerichtliche Verfahren. Auf der Grundlage von außergerichtlichen Verfahren, einen Rentenanspruch zu generieren, das bedarf noch mancher rechtlicher Klärungen, wie das, auch im staatlichen Bereich, wie das funktionieren soll.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Also würden Sie da jetzt? Also das heißt, Sie wollen das noch klären oder zahlen Sie...
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Das muss nicht nur ich klären, das muss auch von den, von staatlicher Seite geklärt werden. Dieses Gesetz ist meines Erachten einfach noch völlig unausge...
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Also Sie verlangen hier eine Nachverhandlung?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Wir sind überhaupt... Es ist in keinerlei Konsultation gegangen, was entgegen den Usancen in unserem Land, Gesetzesentwürfe werden normalerweise in der Zivilgesellschaft, von allen zivilgesellschaftlichen Partnern zur Begutachtung zur Verfügung gestellt. Dieses Gesetz ist ohne jegliche Begutachtung einfach ins Parlament gebracht worden und ich muss sagen, so geht das nicht. Das ist auch von der österreichischen Gesetzgebung, Gesetzwerdung her ein Schnellschuss gewesen, ja.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Herr Kardinal, die Evangelische Schwesterkirche feiert in diesem Jahr ein großes Jubiläum, 500 Jahre Reformation. Sie erinnert damit an den, an den Thesenanschlag Martin Luthers vor 500 Jahren, aber auch an die, an die Spaltung der Kirche, die die katholische Kirche immer als offene Wunde bezeichnet hat und noch immer bezeichnet. Jetzt steht dieses Fest erstmals im Zeichen der Ökumene und man hat den Eindruck, dass sich das Luther-Bild der katholischen Kirche merklich gewandelt hat. Könnte er heute auch als Reformkatholik durchgehen? Man könnte sich vorstellen, dass er mit diesem Papst heute ganz gut, ganz gut könnte.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Also dieser Papst kann sicher sehr gut mit den, mit den Evangelischen und ich glaube, das ist auch gut so.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Er hat eine evangelische Bischöfin in Schweden umarmt. Das war eine starke, große Geste.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ja. Wir haben eine lange und schmerzliche Geschichte in dieser Spaltung, aber ich glaube, wir haben daraus gelernt und zwar nicht erst heute, sondern wir haben durch die Religionskriege zuerst gelernt, dass wir miteinander leben müssen. Das keiner der Sieger sein kann. Das heißt, allmählich ist die Idee der Toleranz gewachsen. Es ist die Idee des gegenseitigen Respekts gewachsen. Es ist die Aufklärung entstanden aus diesen Religionskonflikten, die auch viel Positives gebracht hat. Und heute sind wir einfach in einer Situation, wo wir als Christen gemeinsam unsere Aufgaben wahrnehmen müssen.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
In einer strategischen Allianz, auch angesichts der Herausforderungen durch den Islam?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ja, aber auch in, in der Herausforderung, dass wir unsere, unsere christlichen Aufgaben vor allem, vor allem unsere karitativen Aufgaben gemeinsam wahrnehmen müssen. Das geschieht längst. Wir arbeiten zusammen. Caritas und Diakonie sind wirklich Schwesterorganisationen. Und, und schließlich geht es, ging es Martin Luther darum, dass das Evangelium gelebt wird. Und das heißt, dass das Wort Gottes in die Mitte gestellt wird und dass man sich am Evangelium orientiert. Ich glaube, das ist ein Punkt, über den wir uns heute alle einigen können, und wir sind weit, viel weiter gekommen als wir noch vor 50 Jahren waren. Und wir können auch besser damit leben, dass wir Unterschiede haben.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Bischof Scheuer, der Linzer Bischof, zuständig für die Ökumene, hat unlängst mit einem doch spektakulären Eingeständnis auch aufhorchen lassen. Er hat gemeint auch, in Bezug auf dieses Jubiläum, dass die katholische Kirche eine Mitschuld habe an dieser, an dieser historischen Spaltung. Würden Sie das auch so sagen?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ja sicher. Ja absolut. Das, Luther hat ja...
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
In dem man durch die Reformverweigerung...
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
... Luther hat ja nicht aus Lust und Tollerei seinen, seine Thesen und seine, seine Reform versucht. Er wollte die Kirche am Evangelium wieder orientieren. Dass daraus eine Spaltung geworden ist, das ist, das ist tragisch gewesen. Das war sicher nicht seine ursprüngliche Absicht.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Wir beide sind in, leben in gemischt konfessionellen Ehen, haben wir im vorbereitenden Gespräch herausgefunden. Jetzt ist es noch immer so, dass Evangelische in, in katholischen Kirchen nicht zur Kommunion zugelassen sind, umgekehrt aber Katholiken in evangelischen Kirchen schon. Da gibt es also eine, eine Asymmetrie in der Gastfreundschaft. Wird die bleiben? Wird sie...?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Die Asymmetrie wird insofern bleiben, weil eine, so lange eine gewisse Verschiedenheit bleibt, und diese Verschiedenheit ist ja nicht nur ein Fehler, das ist eine Bereicherung, wir können ja was voneinander lernen. Dass wir nicht alles miteinander teilen, macht ja auch unseren, den Reiz unserer Unterschiede aus. Ich bin überzeugt, Gläubige, gemischt-konfessionelle Ehepaare finden ihren Weg, wie sie damit umgehen. Aber...
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Durch die stille Praxis.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Durch die persönlich verantwortete Praxis würde ich sagen. Es hat jeder sein Gewissen und, und findet, man findet auch gemeinsam einen Weg, der vielleicht ein Weg der Differenz sein kann, aber vor allem der starken Gemeinsamkeit.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Der Papst ist jetzt in seinem fünften Jahr und wenn es nach ihm ging - also geht nach seiner Ankündigung - dann ist das auch sein letztes. Der Papst hat, haben wir nachgelesen, dass er nur für fünf Jahre bleiben wollte.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Aha?
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Zum Beginn hat er seine - das vermessen mit vier, fünf Jahren, das vierte hat er abgeschlossen. Wie lange wird er bleiben, glauben Sie?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Also ich habe den Eindruck...
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Sie kennen ihn gut.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ja. Ich habe den Eindruck, dass, obwohl er jetzt 80 geworden ist, dass er ganz und gar nicht an einen Rücktritt denkt und seine Reformpläne in Rom und seine Erneuerungsideen für die Kirche durchaus noch weiter umsetzen möchte. Ich erlebe ihn voller Energie und habe gar nicht den Eindruck, dass er zurücktreten will.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Und diese Reformpläne, sind die auch - wenn man sich jetzt anschaut, was er für Signale aussendet - sind die auch sozusagen innerhalb der Kirche, werden die fruchten, oder wird es nur eine Episode bleiben, dass man über die Aufweichung des Zölibats, über die Kommunion für verheiratete Geschiedene in der Kirche spricht, wird das nachhaltig sein?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Das ist schwer vorauszusagen. Papst Johannes XXIII war ja in manchem ähnlich wie Papst Franziskus, der vieles aufgebrochen hat, und dann hat man auch gesagt, na ja, der ist alt, das wird eine Episode sein. Aber die Periode von Johannes XXIII, fünf Jahre, hat die Kirche grundlegend verändert.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Im Auftreten, von den Worten her, von den Signalen her auf alle Fälle. Ich habe das jetzt auch überhaupt nicht despektierlich gemeint.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Jaja, das habe ich auch nicht verstanden.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Was ich meinte, war: Wie beharrend sind die konservativen Kräfte in der Kirche?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich würde sagen, genauso wie in jedem Land, ja. Ich denke an dieses Land, seit ich mich erinnern kann, redet man von einer Bundesreform.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Sie sprechen von Österreich?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich spreche von Österreich, ja.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Sie sehen Parallelen mit dem Vatikan.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Beharrende Kräfte gibt es überall. Schauen Sie an unsere Pensionsreform, das geht - da ist die Kirche nicht im Schneckentempo im Vergleich dazu.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Vier Kardinäle haben unlängst offen Widerstand geleistet gegen diesen Papst, weil er die Unauflöslichkeit der Ehe nicht abgesichert habe und die Kommunion für Geschiedene, die wieder geheiratet haben, nicht ausgeschlossen habe. Wie fest sitzt er denn im Sattel? Sie kennen ihn gut.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich glaube, ein Papst sitzt so...
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
...ist kein Reiter, ich weiß.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Er ist kein Reiter, er ist der Papst und er ist sich bewusst, dass er...
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Wie gefährdet ist er?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Gefährdet ist er wie jeder, jeder führende Mensch heute von Terroristen natürlich. Man hat angeblich einen potentiellen Attentäter da gefunden. Gefährdet ist er innerkirchlich von denen, die gegen ihn Opposition machen, aber ich glaube, die Zustimmung zu seinem Weg und vor allem zu seiner glaubwürdigen Gestalt, wie er sein Amt lebt, diese Zustimmung ist bei den Menschen enorm groß.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Herr Kardinal, Sie sind jetzt auch schon 72 Jahre alt und damit eigentlich in einem Alter, wo der durchschnittliche Österreich schon...
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
...schon längst in Pension ist.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
...sehr, sehr lange im Ruhestand ist. Hand aufs Herz: Macht es Ihnen immer noch so viel Spaß wie zu Beginn oder denken Sie in der einen oder anderen stillen Stunde schon ans emeritieren?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ich denke natürlich daran, dass in drei Jahren ich 75 bin und dem Papst den Rücktritt anbieten werde und durchaus dankbar sein werde, wenn das auch angenommen wird. Aber ich muss sagen, die Jahre, die ich jetzt erlebe, sind sehr viel friedlicher als meine ersten Jahre als Bischof, die unter sehr schwierigen Vorzeichen waren. Damals ist in der Kirche in Österreich sehr viel Unruhe gewesen, sehr viele Konflikte. Und ich kam da hinein, schon auch ein bisschen mit der Aufgabe, zu schauen, wie Brücken zu bauen sind und Versöhnung wieder möglich ist. Ich erlebe die jetzigen Jahre als sehr viel friedlicher und sehr viel schöner. Ich bin sehr, ich bin sehr glücklich, dieses Amt wahrnehmen zu dürfen und erlebe viel Freude in diesem Amt.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Kommt ein Wechsel nach Rom noch in Frage? Sie wurden ja immer wieder für hohe...
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Eine kurze Antwort bitte.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
...für hohe Ämter gehandelt.
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Ja.
Patterer Hubert (Kleine Zeitung)
Sieht das Ihre Lebensplanung noch vor?
Schönborn Christoph (Römisch-katholische Kirche)
Für mich sicher nicht.
Kramar-Schmid Ulla (ORF)
Gut. Herr Kardinal, herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben für die Pressestunde. Herzlichen Dank auch Ihnen. Und bei uns folgt jetzt das Parlaments-, und bei uns folgt jetzt das Parlamentsmagazin Hohes Haus, das sich, neben anderen, mit der Frage beschäftigt, warum Abgeordnete so mir nichts dir nichts den Klub wechseln und man da sein Geld einfach mitnehmen dürfen. Am Abend begrüßt Sie dann Claudia Reiterer und mit ihr jene zwei Frauen, die zuletzt für ordentliche Turbulenzen bei den Grünen gesorgt haben. Parteichefin Eva Glawischnig und die von ihr aus der Partei geworfene Junge Grüne Flora Petrik sind bei Claudia Reiterer ab 22 Uhr "Im Zentrum" zu Gast in ORF 2. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Sonntag. Auf Wiedersehen.